Die Sache mit der Pressefreiheit

Vom Versuch, wirtschaftlichen Druck aufzubauen

Debattenbeiträge geben die Meinung des Autors wieder.

Von Thomas Dohna

„Journalismus ist etwas zu veröffentlichen, was andere nicht wollen, dass es veröffentlicht wird. Alles andere ist Werbung.” Dieser Satz wird George Orwell zugeschrieben, ist aber viel älter. Er stammt in etlichen Variationen aus dem späten 19. Jahrhundert.

Seit es Zeitungen gibt, stehen Nachrichtenmedien unter Druck. Ausgebildete Journalisten wissen, dass ein Text, in dem jeder Satz eine Nachricht ist, mehr Wirkung entfaltet als ein noch so gut geschriebener Kommentar. Dabei haben Nachrichtentexte für Leser wie Autoren den Vorteil, dass sie gerichtsfest sein müssen. Falsche oder unzureichend belegbare Tatsachenbehauptungen dürfen nicht vorkommen.

Ist man Protagonist der „schlechten“ Nachricht, führt das oft zu Unmut gegenüber der Presse. Gelassene Geister suchen maximal das Gespräch mit der Presse. Andere versuchen Druck auszuüben. Nicht so gelassene Personen wenden sich gegen den Überbringer der Nachricht und den Kommentator, der sein vom Grundgesetz gesicherte Recht auf freie Meinungsäußerung ausübt und vielleicht eine unangenehme Sicht ausspricht. „Tötet nicht den Boten“, mahnte der antike griechische Dichter Sophokles vor rund 2.400 Jahren. Sophokles erkannte: Die Nachricht und die dahinterstehende Tatsache, die der Bote überbringt, ist nicht dadurch aus der Welt geschafft, dass man den Boten tötet oder schlägt.

In vielen Ländern der Erde glauben die Herrschenden, dass ein solches Vorgehen die für sie schlechten Nachrichten aus der Welt schafft. Nicht umsonst ist eine freie Presse in Russland, China und vielen anderen Ländern der Welt verboten und in den USA unter schwerem Druck. Dass die Freiheit der Presse aber auch in freiheitlich demokratischen Ländern in Frage gestellt wird, erleben wir in diesen Tagen.

Wir berichteten über die nach Ansicht der Kommunalaufsicht rechtswidrige Abwahl eines stellvertretenden Bürgermeisters, vom hauptamtlichen Bürgermeister aus persönlichen Gründen initiiert. Wir berichteten über die faktische Abschaffung der Fragestunde in den Ausschüssen und dem Gemeinderat der Gemeinde. Wir berichteten mehrfach über die von allen demokratischen Fraktionen unterstützte Wahl von Neonazis in Ausschüsse der Gemeinde. Ein Kommentar ordnete den Sachverhalt ein und kritisierte das Vorgehen der demokratischen Fraktionen.

Das gefiel manchen offensichtlich nicht. Aus dem auch geschäftlichen, privaten und gemeindlichen Umfeld des Bürgermeisters erreichten uns Anzeigen- und Abonnementskündigungen. Aus den den Bürgermeister tragenden Fraktionen erreichten uns ebenfalls Kündigungen von Abonnements.

“Vom Rathaus finanziert”

Im Frühjahr lobten dieselben Leute unseren Mut, auf rechtsextremistische Strukturen und Hintergründe in unserer Gemeinde hingewiesen zu haben. Sie lobten unsere Berichterstattung über eine rechtsextremistische Demonstration und die Gegendemonstration dazu. Wir gewannen Abonnenten.

Im Sommer hatten wir über eine fälschlicherweise erhobene Behauptung berichtet, dass wir „vom Rathaus“ finanziert würden. Das kostete uns ebenfalls Abonnenten. Zugleich gewannen wir Abonnenten – und Anzeigenkunden.

Wir hatten berichtet, dass uns eine vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestufte Bestrebung versucht hat, unter Druck zu setzen. Damals gab es Applaus, auch von denen, die jetzt unsere Berichterstattung nicht mehr so gut finden. Uns wurde öffentlich bescheinigt, unbestechlich zu sein. Wir gewannen Abonnenten.

Offenbar gilt die Zuschreibung der Unbestechlichkeit nur so lange, bis die Nachrichtenlage sich gegen den wendet, der die Unbestechlichkeit zuvor so hoch gelobt hat.

Ein hohes Gut

Pressefreiheit ist in Demokratien ein hohes Gut. Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Urteilen bestätigt, dass die Presse ihre Freiheit aus der Aufgabe bezieht, den Mächtigen auf die Finger zu schauen. In unserer Gemeinde sind die Mächtigen der Bürgermeister, die Verwaltung, der Rat und die Parteien sowie die Wählergemeinschaften. Diese Freiheit und Aufgabe der Presse ist zugleich mit dem Auftrag verbunden, die Bürger bestmöglich und zuverlässig über die politischen Vorgänge in unserem Staat aufzuklären. Dass das so gut wie nie ohne Konflikte mit den Mächtigen geschieht, liegt in der Natur der Sache.

Die Presse ist so frei, dass sie in vielen Ländern keinerlei staatliche Zuschüsse annehmen darf, sie muss daher als Wirtschaftsunternehmen arbeiten. Die Leute um den ungarischen Möchtegern-Autokraten Viktor Orban haben die daraus erwachsenen Möglichkeiten erkannt. Sie kaufen unliebsame Medien einfach auf. Sie dürfen weiterhin über alles berichten – soweit es der Regierung nicht schadet und Orban nutzt. Wer Regierungsskandale aufdecken will, wird wirtschaftlich kaltgestellt, als Person und als Unternehmen.

Dass diese Ideen auch in Deutschland Anhänger haben, erleben wir gerade. Man will wirtschaftlichen Druck aufbauen, damit die Presse endlich wieder nur nett oder gar nicht mehr berichtet. Da helfen die Abonnenten, die ihre Abos aufstocken, Menschen, die neue Abos abschließen und der hohe Zuspruch in der Öffentlichkeit wegen unserer jüngsten Berichterstattung. Denen danken wir ausdrücklich. “Bei wem sonst finden wir denn, was in unserer Gemeinde so vorsicht geht”, ist ein uns oft zugesprochener Satz. Die einen schätzen eben das Zitat Orwells, auch wenn sie sich bisweilen über unsere Berichterstattung ärgern, die anderen nicht: „Journalismus ist etwas zu veröffentlichen, was andere nicht wollen, dass es veröffentlicht wird. Alles andere ist Werbung.”

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