Wir und die Ukraine
Von Thomas Dohna
Russland ist in die Ukraine einmarschiert. So einfach, so brutal ist die wichtigste und bedeutendste Nachricht des Tages. Keine Nachricht aus unserem Ort könnte sie verdrängen. Das flächenmäßig größte Land der Welt überfällt seinen Nachbarn. Das hat es so in Europa das letzte Mal am 1. September 1939 gegeben. Damals überfiel Nazi-Deutschland Polen unter genauso windigen wie falschen Gründen wie Russland heute Morgen die Ukraine.
Damals wie heute haben Mächte der freien Welt versucht, den drohenden Krieg abzuwenden. Die freie Welt heute hat aus den Ereignissen damals gelernt. Sie versuchte, sich in dem von Russland vom Zaun gebrochenen Konflikt gar nicht erst in Appeasement, in Beschwichtigung. Sie hat gleich eine Drohkulisse aufgebaut. Manche, vielleicht auch Viele halten Finanz- und Wirtschafts-Sanktionen für zu schwach, zu zögerlich. Ja, sicher, sie sind keine Waffen, die sofort und gleich zerstören und Einhalt gebieten. Aber sie sind vor dem Einsatz von Waffen das Einzige, was wir haben.
14 bis ca. 19 UHR
Ev.-ref. Kirchengemeinde Leopoldshöhe
Demokratien handeln langsam, weil sie ihre Entscheidungen abwägen und selten einem einzigen Interesse unterordnen. Das ist ein Unterschied zu Diktaturen. Die Entscheidung Putins, einen Krieg zu beginnen, Menschen töten zu lassen, ist seinem ganz persönlichen, größenwahnsinnigen Interesse unterworfen, ein Großrussland erstehen zu lassen. Da hat keine Abwägung mit anderen Interessen stattgefunden, dem des russischen Soldaten zum Beispiel, der eben noch gelebt hat und seiner Mutter, die noch nicht weiß, dass sie den Rest ihres Lebens um ihn trauern wird.
Sicherheit und Klimawandel
Dieser Krieg geht auch uns hier in unserem Ort etwas an. Hier leben viele Menschen, die in Russland geboren sind oder deren Vorfahren von dorther stammen, und sicher auch einige, die ihre Wurzeln in der Ukraine haben. Hier gibt es Unternehmen, die mit ukrainischen und russischen Unternehmen Geschäftsbeziehungen unterhalten. Und es gibt viele Menschen, die sich um ihre Energie- und Benzinkosten Sorgen machen, auch weil es Deutschland über die Jahre versäumt hat, sich in der Energieversorgung breiter aufzustellen. Wären die erneuerbaren Energien, die Stromtrassen, die Wasserstofftechnologie und die Produktion von sogenanntem E-Fuel schon dort, wo sie angesichts des Klimawandels sein müssten, hätte Putin gegenüber Deutschland und Europa kein Druckmittel mehr. Plötzlich gehen die nationale Sicherheit und der Kampf gegen den Klimawandel Hand in Hand.
Dieser Krieg geht uns etwas an. Unsere Energiekosten werden steigen, die Lebenshaltungskosten auch. Für die unter uns, die ohnehin wenig Geld haben, wird es schwer werden, für manche zu schwer. Für die meisten unter uns dürften maximal der zweite Urlaub im Jahr oder die ein oder andere Anschaffung nicht mehr drin sein. Aber was ist das im Vergleich zu dem, was die Ukrainer jetzt erleben? Putin hat klar gesagt, dass für ihn mit der Ukraine nicht Schluss ist. Spätestens dann spielt der nächste Urlaub keine Rolle mehr.
Wahnsinnige
Die Gemeindeverwaltung, das Land, der Bund und die Hilfsorganisationen richten sich auf Ukrainer ein, die ihr Land verlassen und hier bei uns Zuflucht suchen. Es könnte eine Situation werden wie in den 1990er Jahren während des Jugoslawien-Konflikts. Da ist dann die Solidarität und die Mithilfe der Leopoldshöher und aller Bürger in Deutschland gefragt. Und die, da bin ich sicher, wird es geben.
Gestatten Sie mir eine persönliche Bemerkung: Vor knapp 40 Jahren, während des Kalten Krieges, war ich Wehrpflichtiger in einer Einsatzeinheit, die die Bewegungen der Truppen des Warschauer Paktes beobachtete. In jener Zeit gab es auch von dieser Einsatzeinheit beobachtete unklare Bewegungen der anderen Seite, die alle paar Monate zu echten Nato-Alarmen führten, also solchen, bei denen scharf bewaffnete Einheiten der Nato-Streitkräfte kampfbereit waren. Die Bevölkerung bekam davon nichts mit, auch nicht der gewöhnliche Bundeswehrsoldat. In unserer Einheit waren wir uns dennoch einig: Auf der anderen Seite sitzen auch keine Wahnsinningen. Das würde ich heute keinesfalls mehr behaupten.