Die Hoffnung stirbt zuletzt
Von Ulrich Schumann
„Die Nacht, in der Laurier erwachte“: Leos Kino empfiehlt eine brillante Serie von Xavier Dolan
Es ist der blanke Horror, mit dem alles beginnt: eine ältere Frau beobachtet, wie ein paar vermummte Gestalten nachts eine Regenbogenfahne in Flammen aufgehen lassen. Warum tun sie das? Was steckt dahinter? Ist das ein Anfang? Oder eher ein Ende?
Bevor wir das erfahren, wartet fünf Stunden brillantes Fernsehen auf uns. Xavier Dolans Arbeit „Die Nacht, in der Laurier erwachte“ erzählt die Geschichte der Familie Larouche, die in Québec lebt. Der Tod der alten Madeleine bringt vier ungleiche Geschwister wieder zusammen: Da sind Julien und Eliot, die beide aus der Suchtklinik kommen, Eliot ganz frisch, Julien ist schon länger trocken. Da ist Denis, der seit seiner Scheidung im Chaos lebt. Und da ist Mimi, die schon als Teenagerin mit der Familie gebrochen hat.
Kunstvoll verschachtelt Dolan in den fünf Folgen verschiedene Zeitebenen, die von 1991 bis heute reichen. Diese Ebenen, die parallel erzählt werden, helfen uns, den Abstieg der Familie Larouche zu verstehen und nachzuvollziehen. Dass der Nachbarsjunge Laurier dabei eine zentrale Rolle spielen wird, ist von Anfang an klar. Doch wie wirklich alles zusammenhängt, erfährt der Zuschauer erst in den letzten zehn Minuten der Serie in einem furiosen Finale.
Regisseur Xavier Dolan ist mittlerweile 35 Jahre alt, gilt immer noch als Wunderkind und hat uns schon manche Kinoperle geschenkt. Mit seiner ersten Serie spinnt er sein Kernthema der dysfunktionalen Familie weiter. Dolan versteht es dabei, seine präzisen Beobachtungen unterhaltsam und vor allem spannend und filmisch äußerst ansprechend zu verpacken. „Die Nacht, in der Laurier erwachte“ ist ein brillantes Familiendrama, durchsetzt mit Spannungselementen, wie wir sie nur von Hitchcock kennen. Vor allem die treibende Musik von Altmeister Hans Zimmer verleiht der Serie etwas Atemloses. Man glaubt als Zuschauer gar nicht, wie schnell fünf Stunden vergehen.
Es lohnt sich auch deshalb diese Serie zu genießen, weil Dolan jüngst angekündigt hat, nie wieder als Regisseur arbeiten zu wollen – ein echter Schock für die Filmwelt, mit der Dolan den nächsten Cliffhanger setzt. Macht er Ernst und tritt wirklich nur noch als Schauspieler auf, wie hier als Eliot?
Die Hoffnung stirbt zuletzt und das ist auch die Kernaussage dieser wunderbaren Serie. Die Geschwister versammeln sich anfangs am Krankenbett von Madeleine, am Ende stehen sie gemeinsam wieder vor einem Bett, diesmal liegt ein anderer Kranker drin. Doch diesmal könnte aus den Vieren eine echte Gemeinschaft werden, nachdem sie seit 1991 nur Trennendes erlebt haben. Die Chance ist da. Wir haben Hoffnung.
„Die Nacht, in der Laurier erwachte“ läuft am 9. August 2024 beim TV-Sender ONE. Alle fünf Folgen warden am Stück ausgestrahlt. Die Serie steht danach auch für zwei Wochen in der ARD-Mediathek.
Link zum Trailer: youtube.com