Einen solchen Film wird es nie wieder geben
Von Ulrich Schumann
Manchmal ist die Geschichte rund um einen Film genauso interessant wie seine Handlung. Bei „The Fall“ aus dem Jahr 2006 ist beides so ungewöhnlich, dass der Film fast verschwand und der Regisseur obdachlos wurde. Nun wird „The Fall“ gefeiert und ist nach 18 Jahren wieder zu sehen.
In den 1990er Jahren war Tarsem Singh einer der gefragtesten Regisseure und gut im Geschäft. Berühmt wurde er für das Video zum Welthit „Losing My Religion“ von R.E.M. bekam Singh den MTV Video Music Award. Singh wollte aber Langfilme drehen, vor allem die Idee zu „The Fall“ hatte es ihm angetan.
Ein Stuntman und ein kleines Mädchen machen gemeinsame Sache
In „The Fall“ sollte es um das kleine Mädchen Alexandria gehen, dass 1915 in einem Krankenhaus in Kalifornien liegt und dort den verletzten Stuntman Roy kennenlernt. Die beiden freunden sich an, vor allem, weil Roy der Kleinen eine fantastische Geschichte von fünf Abenteurern erzählt. Diese wollen aus unterschiedlichen Gründen Rache an dem fiesen General Odious nehmen.
Alexandria ist von der Geschichte so fasziniert, dass sie beginnt für Roy Opium zu stehlen, damit dieser nur weitererzählt. Doch Roys psychischer Zustand verschlechtert sich und seine Geschichte über die Helden wird immer düsterer. Das kleine Mädchen muss sich etwas einfallen lassen, damit die Helden – und somit auch Roy – überleben.
Beethoven und Superhelden – eine geniale Kombination
Die Bilder, die Singh für die Heldengeschichte findet, hat man so noch nicht gesehen. Knallbunt, kunstvoll und ästhetisch, modern, stylisch, durchkomponiert und angeblich völlig ohne Computer-Tricks. Singh suchte mehr als ein Jahrzehnt allein für die passenden Drehorte. Alle Gebäude, die hier zu sehen sind, gibt es angeblich wirklich irgendwo auf der Welt.
Perfekt abgestimmt sind die Bilder auf die Musik. Die Idee, den 2.Satz aus Beethovens siebter Symphonie zur Untermalung einer verrückten Heldengeschichte zu verwenden, ist genial. Der Sog, der hier für den Zuschauer entsteht, ist enorm.
Ein guter Film zur falschen Zeit
2006 konnte man damit allerdings nichts anfangen. Obwohl Singh den legendären Spike Jonze und David Fincher als Produzenten gewann, wurde das Geld knapp. Singh haftete mit seinem privaten Vermögen.
Und dann floppte „The Fall“. Dass ein kleines Mädchen die Depression eines erwachsenen Mannes auffangen sollte und Drogen stehlen muss, um eine Geschichte erzählt zu bekommen, erschien abwegig. Die Darstellerin der Alexandria, Catinca Untaru, erhielt zudem wegen ihrer Zahnlücke beleidigende E-Mails und zog sich komplett aus der Öffentlichkeit zurück.
Die Kritik konnte mit dem Film nichts anfangen, er wurde in den USA erst ab 18 Jahren frei gegeben, auf der Berlinale hingegen lief der Film im Kinderprogramm.
„The Fall“ verschwand im Laufe der Jahre und mit ihm auch Tarsem Singh, dessen finanzielle Probleme immer größer wurden. Angeblich war er einige Zeit sogar obdachlos.
Die Wiederentdeckung im Sommer 2024
2024 wurde „The Fall“ vom Streaming-Dienst MUBI wiederentdeckt. MUBI restaurierte das Werk, es ist nun sogar in 4K-Qualität zu sehen. Die Uraufführung der restaurierten Fassung fand im Sommer 2024 beim Film-Festival in Locarno statt, im größten Open-Air-Kino der Welt vor 8000 Zuschauenden. Tarsem Singh war anwesend und wurde gefeiert wie ein Popstar. Eine späte Genugtuung.
Auch heute noch überwältigt „The Fall“ durch seine visionäre Kraft, wirkt zeitlos, ein vollkommenes Einzelstück. 18 Jahre später weiß man, dass es so einen Film nie zuvor gegeben hat und dass es so etwas auch nie wieder geben wird (Roger Ebert). Man schaut den Film nicht wegen seiner Handlung, sondern weil „The Fall“ mit einzigartigen Bildern das ausdrückt, was Kino ausmacht: die Macht der Fantasie.
„The Fall“ ist beim Streaming-Dienst MUBI zu sehen, der über Amazon Prime Video erhältlich ist.
Trailer zur 4K-Fassung von „The Fall“: youtube.com
Noch eindrucksvoller ist der alte Trailer von 2006: youtube.com.