Echse ohne Beine – Die Blindschleiche im Portrait

Am Versteckplatz überraschte Blindschleiche. Foto: NABU Leopoldshöhe/Ewald Thies
Am Versteckplatz überraschte Blindschleiche. Foto: NABU Leopoldshöhe/Ewald Thies

NABU Aufruf zu Fundmeldungen

Von Ewald Thies

Leopoldshöhe. Der erste Eindruck täuscht: Mit ihrem langen, beinlosen Körper sieht die Blindschleiche einer Schlange zwar ähnlich, doch eigentlich zählt sie zu den Echsen. Ebenso täuscht der Name. Denn blind sind Blindschleichen auch nicht.

Blindschleichen sind leicht zerbrechliche Wesen. Ein unbedachter Griff und die mühelos zu fangenden Tiere brechen entzwei. Während sich das längere Ende hastig davonschlängelt, verbleibt das kürzere heftig zappelnd in der geschlossenen Hand. Mit diesem Trick gelingt es in Gefahr geratenen Blindschleichen oftmals, ihre Feinde zu verwirren und ihnen zu entkommen.

Möglich wird dies durch mehrere Sollbruchstellen, die es den Tieren erlauben, den Schwanz abzuwerfen. Dieser wächst alsbald wieder nach; allerdings nur als verkürzter, kugeliger Stumpf.
Die Zerbrechlichkeit der Blindschleiche deutet sich bereits in ihrem wissenschaftlichen Gattungsnamen an: Anguis fragilis bedeutet „zerbrechliche Schlange“. Dabei führt der zweite Namensteil allerdings in die Irre. Denn mit ihrem beinlosen, langgestreckten Körper sieht die Blindschleiche einer Schlange zwar täuschend ähnlich, doch in Wirklichkeit zählt sie zu den Echsen.

Steifes Schlängeln

Die Unterschiede zeigen sich erst bei genauerem Hinsehen. Anders als Schlangen haben Blindschleichen bewegliche, verschließbare Augenlider. Sie bewegen sich langsamer als Schlangen und ihr Schlängeln wirkt steif und weniger agil. Zum Züngeln müssen sie das Maul leicht öffnen, denn anders als Schlangen besitzen sie keine Lücke in der Oberlippe.

Der Kopf der Blindschleiche geht ansatzlos in den kreisrunden, meist stark glänzenden Rumpf über, der in einem Schwanz mit horniger Spitze endet. Ausgewachsene Tiere erreichen eine Gesamtlänge von bis zu 50 Zentimetern und sind an der Oberseite braun, grau oder gelblich gefärbt; manche glänzen auch in Bronze- oder Kupfertönen. Die Flanken sind meist dunkel abgesetzt.

Der Glaube, Blindschleichen seien blind, ist weit verbreitet, aber falsch, denn ihr Name ist vom althochdeutschen „Plintslicho“ abgeleitet, was so viel wie blendender Schleicher bedeutet und auf den glänzenden, sich schlängelnden Leib der Tiere gemünzt ist.

Regenwürmer in der Nacht

Die Blindschleiche ist genügsam und findet sich in fast allen Landschaftstypen zurecht. Zwar bevorzugt sie Heidegebiete, teilentwässerte Hochmoore und sommergrüne Laubwälder; aber sie fühlt sich auch auf Wiesen und Brachen, in Parks und naturnahen Gärten wohl. Man findet sie an Wegrändern und an Bahndämmen, unter Hecken und Steinen, im Laub und sogar im Komposthaufen.

Sozialverhalten und Raumnutzung der Blindschleiche liegen noch weitgehend im Dunkeln. Das liegt auch an ihrer heimlichen Lebensweise. Denn die harmlose Echse hat ihren Feinden wenig entgegenzusetzen – sie beißt nicht einmal richtig. Stattdessen setzt sie auf Tarnung und ein Leben im Verborgenen. Tagsüber versteckt sie sich meist. Auf die Jagd geht sie in der Abenddämmerung und in den frühen Morgenstunden.

Leibspeise der Blindschleiche sind Regenwürmer, Nacktschnecken und unbehaarte Raupen. Züngelnd nimmt sie Witterung auf, pirscht sich an ihr Opfer heran, packt es mit dem nach hinten gekrümmten Gebiss und verschluckt es im Ganzen. Bei einem großen Regenwurm kann das bis zu eine halbe Stunde dauern.

Ringkampf um die Weibchen

Den Winter verbringen Blindschleichen in frostsicheren Erdlöchern, wo Gruppen von 5 bis 30 Tieren in Kältestarre auf den Frühling warten. Erst Anfang April wagen sie sich wieder ins Freie. In ritualisierten Kämpfen ringen die Männchen um die Weibchen, versuchen den Gegner zu Boden zu drücken, ihn fest zu umschlingen und zu beißen.

Hat das Männchen ein Weibchen erobert, verbeißt es sich in dessen Nacken und paart sich mit ihm in einem mehrstündigen Kopulationsakt. Die befruchteten Eier trägt das Weibchen rund 14 Wochen aus. Sobald die acht bis zwölf Jungtiere voll entwickelt sind, platzt die Eischale und sie kommen in einer transparenten Membran zur Welt, die sie sogleich durchstoßen.

Die Zahl ihrer Fressfeinde ist groß. Blindschleichen stehen auf dem Speiseplan zahlreicher Vogelarten, werden gejagt von Säugetieren wie Igel, Dachs, Fuchs und Marder. In Siedlungsgebieten stellen ihnen Hunde, Katzen und selbst Hühner nach.

Der größte Feind der Blindschleiche ist allerdings der Mensch, der ihren Lebensraum mit intensiver Land- und Forstwirtschaft zerstört, ihre Bestände durch das Ausbringen von Pestiziden und Schneckenkorn dezimiert und sie aus Ekel oft einfach zertritt. In mehreren Bundesländern steht die Schleiche inzwischen auf der Vorwarnliste oder gilt als gefährdet. Blindschleichen sind sehr unterschiedlich in ihrer Färbung und Zeichnung,

Was vielen Menschen nicht bekannt ist: Blindschleichen gelten als eifrige Schneckenvertilger, somit sind sie nützliche Helfer in Gärten. Zu ihren Beutetieren zählen daneben Käferlarven, Regenwürmer, Schmetterlingslarven, auch Assel und Spinnen. im Körperbau und den Beschuppungsmerkmalen.

Entscheidend für das Vorhandensein von Blindschleichen ist wohl eine Kombination von Verstecken, Sonnplätzen und Nahrungsmöglichkeiten. 

Hans Dudler vom NABU Lippe: “Sowohl an südexponierten Bahndämmen als auch an Wegböschungen und Hängen sowie auf Streuobstwiesen sind oft Strukturen zu finden, die für die Tiere ideale Lebensbedingungen bieten. Auch Friedhöfe, den Stätten der Ruhe, auf denen sich zumeist zahlreiche Refugien befinden, bieten gute Nahrungs-und Versteckmöglichkeiten für Blindschleichen”

Ewald Thies von der Leopoldshöher NABU Gruppe ergänzt: „ Auf vielen Wald-und Friedhofsparkplätzen, auch  in der Nähe von Baggerseen, so entnehmen wir den Beobachtungsmeldungen der letzten Jahre, halten sich wohl häufiger Blindschleichen auf, um sich dort zu sonnen. Dort sollten die Verkehrsteilnehmer besonders achtsam sein beim Parken und beim Befahren der unbefestigten Bankette“.

Nur leider: Auf Radwegen, Mountainbike-Strecken und auf Parkplätzen ist die Gefahr besonders groß, dass Blindschleichen von Verkehrsteilnehmern übersehen werden und zu Schaden kommen. Stark frequentierte Wander-und Fahrwege in Waldgebieten stellen somit eine der größten Gefahren für Blindschleichen dar.

Trockenmauern, Kleinstrukturen wie liegendes Totholz, Steinhaufen, Baumstümpfe, Baumstubben oder Rindenstücke erfüllen eine besondere Funktion als vielfältige  Lebensräume für Blindschleichen.

Allerdings, so Hans Dudler, muss man sagen: „Die scheinbar hohe Flexibilität dieses Tieres bei der “Wahl“ des Aufenthaltsortes darf nicht über den Verlust ihrer ursprünglichen Lebensräume hinwegtäuschen, zu denen immer Übergangsräume an Wald und Wiesen mit Unterschlupfmöglichkeiten in hohem Gras oder Büschen gehören.“

Wer eine Blindschleiche entdeckt, wird gebeten, eine Fundmeldung möglichst mit Fotonachweis und Ortsangabe und Funddatum an info@nabu-leopoldshoehe zu schicken.

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