
Türöffner zu einem Jahrhundert-Film
Von Ulrich Schumann
„Ich hatte nur das Nichts“ ist eine Dokumentation über die Dreharbeiten zu Claude Lanzmans legendärem Film „Shoah“ / ein Filmtipp von Leos Kino
Es ist wohl niemandem besser gelungen als Claude Lanzman, das Grauen des Holocausts filmisch etwas greifbarer zu machen. In seinem Film „Shoah“ gibt es keine erklärenden Kommentare, es gibt keine hinzugefügte Musik und keine Archivaufnahmen aus den Konzentrationslagern, es ist kein einziger Leichnam zu sehen. Stattdessen kommen die Zeugen des Holocausts in Interviews zu Wort: Opfer, Zeitzeugen, Täter. Lanzman zeigt dabei die Sprechenden, oft gibt es aber auch lange Kamerafahrten, vorbei an den Tatorten, so wie sie in der filmischen Gegenwart, also 1985, aussehen.
„Shoah“ ist dabei nicht nur formal, sondern auch in seiner Länge äußerst ungewöhnlich. Wer sich auf diesen Film einlässt, verbringt 556 Minuten, also rund neuneinhalb Stunden, im Kino.
Der TV-Sender arte zeigt zu Lanzmans 100. Geburtstag nun „Ich hatte nur das Nichts“ im Fernsehen und in der arte-Mediathek. Gestützt auf Lanzmans Biografie „Der patagonische Hase“ zeigt die Dokumentation die Arbeiten zum Film „Shoah“, die zwölf Jahre dauerten.
Die Dokumentation macht begreifbar, wie Lanzman zu seinen radikalen formalen Entscheidungen kam, wie er Zeugen fand und in Szene setze und wie die Arbeiten an „Shoah“ immer wieder in Sackgassen gerieten. Wir sehen, wie die Finanzierungslücke immer größer und wie das Vorhaben immer monumentaler wurde. Wir sehen, wie Lanzman rund um die Welt reiste, wie er hunderte von Vorbereitungstreffen durchführte, wie er immer besessener an dem Projekt arbeitete.
Insgesamt entstanden für „Shoah“ 220 Stunden Film-Material, aus denen Lanzman dann für den Film auf neuneinhalb Stunden kürzen musste – auch das ein Kraftakt.
„Ich hatte nur das Nichts“ ist mehr als ein „Making-Of“ zum großen „Shoah“-Film. Er macht Lust, den langen Film aus den 1980ern zu entdecken. Eine optimale Vorbereitung.
Wie sehr der mittlerweile 40 Jahre alte „Shoah“-Film heute noch wirkt, war bei der letzten Berlinale zu beobachten, wo er noch einmal gezeigt wurde: man sah hinterher genau, welche Berlinale-Besucher aus dieser Vorstellung kamen und welche nicht. „Ich hatte nur das Nichts“ ist ein Türöffner zu einem der wichtigsten Filme der Filmgeschichte, den wohl jeder Deutsche mal gesehen haben muss.
„Ich hatte nur das Nichts“ (2024) ist ab dem 19.11.2025 in der arte-Mediathek zu sehen. Arte zeigt den Film im linearen TV-Programm am 26.11.2025 um 21.50 Uhr.
Der legendäre Film „Shoah“ (1985) kann in Deutschland nur über Amazon Prime Video gestreamt werden. Amazon hat den Film in zwei Streams geteilt, die dann einzeln erworben werden müssen.
„Shoah“ kann aber auch zum Preis von 7,50 Euro plus Versand als DVD-Set bei der Bundeszentrale für politische Bildung erworben werden.



