Wenn Helfer Hilfe brauchen

Petra Schubert ist PSU-Assistentin bei der Freiwilligen Feuerwehr in Leopoldshöhe und koordiniert das PSU-Team im Kreis. Sie ist aber voll ausgebildete Feuerwehrfrau und kennt daher die Sorgen und Ängste der Kameraden. Foto: Ralf Bittner

Petra Schubert leitet das PSU-Team des Kreises Lippe

Leopoldshöhe (rab). „Jeden kann es erwischen“, sagt Petra Schubert, Feuerwehrfrau bei der Freiwilligen Feuerwehr Leopoldshöhe und Leiterin des PSU-Team im Kreis Lippe. Mit „Es“ meint sie Ereignisse oder Erlebnisse, die selbst gestandene Feuerwehrleute oder an anderen Stellen im Rettungsdienst tätige Menschen derart aus der Bahn werfen, dass sie ohne Begleitung kaum zu bewältigen sind. Dabei hilft das PSU-Team. PSU steht dabei für Psychosoziale Unterstützung.

Anders als die bei den Kirchen angesiedelten Notfallseelsorger, die sich vor allem um Betroffene und Hinterbliebene kümmern, sind Schubert und die Kollegen im PSU-Team Ansprechpartner für Feuerwehrleute, Rettungssanitäter oder andere Menschen im Rettungswesen und zwar unabhängig davon, ob sie zu einer der Feuerwehren im Kreis gehören oder für einen anderen Träger im Einsatz sind. „Wir sind ansprechbar für jeden“, sagt sie.

Schubert ist wie alle anderen im PSU-Team voll ausgebildete Feuerwehrfrau, hat jedoch eine 112 Stunden umfassende Zusatzausbildung am Institut der Feuerwehr in Münster zur PSU-Assistentin absolviert. Daneben gibt es eine Ausbildung zum PSU-Helfer. Die umfasst 36 Stunden und wird direkt bei der Feuerwehr in Lippe ausgebildet.

2006 war Schubert aus Bielefeld nach Leopoldshöhe gezogen. Neben ihrer hauptberuflichen Tätigkeit bei einer Berufsgenossenschaft war sie in Bielefeld ehrenamtlich Rettungsdienst gefahren. In Leopoldshöhe wurde sie durch eine Werbeaktion auf die Freiwillige Feuerwehr aufmerksam. „Aus meiner Tätigkeit im Sanitätsdienst wusste ich einiges davon, was die Feuerwehr so macht“, sagt sie. Die eingesetzte Technik, etwa Hydraulikspreizer zur Befreiung in Autos eingeklemmter Personen, habe sie eher gereizt als abgeschreckt. Angst vor der körperlichen Anstrengung oder der schweren Ausrüstung habe sie nicht gehabt. „Auch Rettungsdienst ist schwere körperliche Arbeit, schon leer wiegt eine Trage 30 Kilo oder mehr.“

Mitglieder des Teams Psycho-Soziale Unterstützung kümmern sich um Zeugen und Ersthelfer. Foto: Edeltraud Dombert
Mitglieder des Teams Psycho-Soziale Unterstützung kümmern sich beim Brand eines Hauses am Iltisweg in Bechterdissen um Zeugen, Ersthelfer und Einsatzkräfte. Archivfoto: Edeltraud Dombert

„Der Großteil des Feuerwehr-Nachwuchses kommt aus den Jugendfeuerwehren“, sagt sie. Sie sei aber auch als Quereinsteigerin bestens aufgenommen worden. „Wer mit dem Gedanken spielt, zur Feuerwehr zu gehen, sollte das unabhängig vom Alter auch machen. Man kann dort helfen und wird Teil einer ganz besonderen Gemeinschaft.“ Bis heute wird sie wie alle anderen Kameraden und Kameradinnen im Notfall mit alarmiert und geht zunächst mit den Einsatz. „Gefahrenabwehr hat oberste Priorität“, sagt sie.

Sollte sich während des Einsatzes herausstellen, dass das PSU-Team benötigt wird, werde sie entweder aus dem Einsatz herausgelöst und durch einen Kameraden abgelöst, oder es werden PSU-Kollegen aus einer der anderen Feuerwehren nachalarmiert. „Generell gilt die Regel, dass bei eigener Betroffenheit oder Betroffenheit der eigenen Einheit, die PSU-Kollegen anderer Wehren zur Verfügung stehen“, sagt Schubert.

Schuldgefühle und Schlafstörungen

Im Normalfall beginnt unmittelbar nach einem fordernden Einsatz die Aufarbeitung mit einem Gespräch. „Alle erzählen sich, was sie während des Einsatzes gemacht und erlebt haben“, sagt Schubert. Das sei wichtig, weil die Feuerwehrleute keinen Überblick über das Gesamtgeschehen haben, sondern immer nur das sie unmittelbare betreffende Geschehen kennen. Außerdem sei das möglichst frühe Sprechen über das Erlebte wichtig für die Aufarbeitung.

Folgen belastender Erlebnisse können Gereiztheit, Aggressivität, Rückzug, Schuldgefühle, immer wiederkehrende Erinnerungen, Schlafstörungen oder das Vermeiden von mit dem Erlebnis verknüpften Orten, Personen oder Tätigkeiten sein. „Diese Reaktionen können einige Stunden bis zu mehreren Tagen andauern.“ Entspannen mit Musik, Schwimmen, Spazieren gehen, Ablenkung oder der Umgang mit vertrauten Menschen, seien hilfreich: „Das Adrenalin muss aus dem Körper.“

Todesangst bei Kameraden

„Treffen kann es jeden“, sagt Schubert. „Und es können ganz unterschiedliche Dinge sein, die einen Kameraden unvermittelt treffen und umhauen können, etwa Todesangst wenn unvermittelt der Atemluftschlauch abgeklemmt werde oder die Erzählung einer einsamen alten Dame im Rettungswagen, die irgendeinen Punkt des Fahrers anrührt und den Schalter umlegt. Es können auch Dinge sein, die ein Kamerad schon zehn Mal ähnlich erlebt hat, und das elfte Mal ist dann zu viel.“ Tote in der eigenen Wehr – auch damit war das Lipper PSU-Team schon befasst – machen immer die Betreuung der ganzen Einheit durch externe PSU-Kräfte notwendig. Sie selbst wisse was sie kann, aber auch wann sie „raus“ sei.

Neben der Begleitung bei belastenden Einsätzen und der Nachsorge ist die Prävention mit Aus- und Fortbildung, Information und Sensibilisierung ein wichtiges Tätigkeitsfeld. Seit Ende der 1990er Jahre ist die PSU als Teil der Gesundheitsvorsorge für die Mitarbeiter ebenso Aufgabe der Kommunen wie die Ausstattung mit der notwendigen Schutzkleidung. „Anfangs mussten wir im Kameradenkreis gegen das Selbstbild vom Rettungsprofi, den nichts umhaut, oder die Angst vor der Selbstentblößung im Gespräch angehen“, sagt Schubert. Das habe sich nach kontinuierlicher Aufklärungsarbeit aber geändert.

Übergabe an die Profis

„Inzwischen werden wir auch angesprochen, wenn einem Kameraden bei einem anderen eine Veränderung auffällt“, sagt die Feuerwehrfrau. In vielen Fällen geht es dabei um eher private Probleme wie Unfall, schwere Krankheiten von engen Angehörigen, Trennungen, Suizide oder Suizidversuche im Bekanntenkreis oder Probleme im Beruf. „Alle Kollegen haben ein Faltblatt mit unseren Kontaktdaten und nutzen unser Angebot von Kameraden für Kameraden inzwischen immer häufiger. Selbstverständlich gilt, dass alles, über was wir reden, vertraulich ist und den Raum nicht verlässt.“

„In der Regel haben wir es mit der Nachbearbeitung und Verarbeitung abgeschlossener Ereignisse zu tun“, sagt Schubert. Das machen die PSUler als Teil eines Netzwerkes. „Wo wir nicht weiterkommen, vermitteln wir an professionelle Kräfte weiter“, sagt sie.

Im Sommer war sie Teil eines PSU-Teams aus Ostwestfalen-Lippe, das nach dem Hochwasser in Euskirchen half. „Das war anders als das, was wir sonst tun“, sagt sie. „Denn der Einsatz war ja nicht vorbei, sondern wir kamen in einen laufenden Einsatz. So gut wie alle Kameraden dort waren auch selbst betroffen, in Sorge um Freunde, Familie oder das eigene Hab und Gut und arbeiteten weiter Auftrag um Auftrag ab. Nicht zu vergessen ist auch, dass die Kameraden dort eine unglaubliche Menge an Material in den Fluten verloren haben – und auch Kameraden.“

Einsatz bei der Flutkatastrophe

So hatte sie es dort mit einem Kameraden zu tun, der Einsatz um Einsatz abgearbeitet hatte, sich aber an nichts erinnern konnte. „So ein Nebel im Kopf löst und Angst und Panik aus“, sagt die PSU-Assistentin. Als ersten Schritt habe sie geholfen, die Ereignisse zu rekonstruieren. Das Wissen um Geschehenes, auch wenn es noch nicht die eigene Erinnerung ist, sei Voraussetzung für die Aufarbeitung.

Ähnlich verhalte es sich mit Corona. „Auch das ist eine Art Trauma. Vor allem ist es aber eine Situation, die sich niemand vorstellen konnte und auf die sich daher niemand vorbereiten konnte. Auch die Pandemie trifft die Menschen existenziell – von der Familie über den Beruf bis zur Sorge um die Schulbildung der Kinder. Erwartbare Folgen wie Depressionen und Burnout werden die Gesellschaft und auch uns Kameraden wohl noch länger beschäftigen“, vermutet sie.

Bei der Feuerwehr läuft der Dienstbetrieb in Kleingruppen, die sich nicht begegnen dürfen. Alle über den Dienstbetrieb hinausgehenden gemeinschaftlichen Aktivitäten liegen brach. So soll verhindert werden, dass sich alle Feuerwehrleute gleichzeitig mit Corona anstecken und die Einheit nicht mehr einsatzfähig ist. „Das wäre eine Katastrophe“, sagt sie.