Elf Einsätze in 24 Stunden
Leopoldshöhe (ted). Es sind lange fünf Minuten. Ein Mensch liegt unter einem Auto, zwei andere sind verletzt. Ein Mann dringt auf Leonie Kluckow ein und schreit immer wieder: „Der hat meinen Kollegen totgefahren!“ Die Einsatzleiterin der Jugendfeuerwehr Leopoldshöhe steht auf dem Margarethenweg und wartet.
Endlich rollen das LF 10 und das HLF 20 über die Teutoburger Straße an. Leonie Kluckow war mit den Einsatzleitwagen vorausgefahren und steht nun dem völlig aufgelösten Mann gegenüber. Uwe Mäscher wird später sagen: „Ich war ja auch ein Verletzter“, an der Psyche verletzt.
Es ist die erste von elf Übungen, die die Jugendfeuerwehrleute innerhalb von 24 Stunden abarbeiten, wie es im Feuerwehr-Jargon heißt. Von Freitagmittag bis Samstagmittag absolvieren die Kinder und Jugendlichen zwischen zehn und 16 Jahren einen 24-Stunden-Dienst.
Die beiden Einheiten in den Löschfahrzeugen sitzen ab. Die Fahrer sind Aktive der Einsatzabteilung, Mannschaft und Gruppenführer sind von der Jugendfeuerwehr. Die Gruppenführer Jan-Philipp Görlich und Leon Genselein suchen ihre Einsatzleiterin, Uwe Mäscher als Aufgeregter funkt immer wieder dazwischen, es geht ihm alles zu langsam, weil doch sein Kollege unter dem Auto liegt.
Etliche Aktive der Feuerwehr haben die Übung vorbereitet. Sie besorgten zwei Schrottautos und präparierten sie. Sie schoben eines der Autos über eine Puppe, die für Rettungsübungen da ist. Das ist Mäschers „Kollege“. Eine andere Puppe liegt in einem der Unfallwagen. Ein dritter „Verletzter“ ist ein aktiver Feuerwehrmann. Er sitzt in dem Auto, das über der Puppe steht.
Kluckow gibt Anweisungen. Mit Hebekissen soll das Auto angehoben werden, um den „Kollegen“ unter dem Auto zu befreien. Unterdessen fahren Autos durch die Einsatzstelle. Ein Passant mischt sich unter die Einsatzstelle. Ein Aktiver fragt Leonie Kluckow: „Hast Du noch Leute, die die Einsatzstelle absichern können?“ Schnell beordert sie zwei Jungen. Die stellen Pylonen auf. Die Einsatzstelle ist abgesichert.
Die Jugendfeuerwehr nimmt Kinder ab zehn Jahren auf. Sie bekommen Helm und Einsatzkleidung der Jugendwehr. Sie kommen regelmäßig auf der Wache am Schuckenteichweg zusammen und üben mit dem Gerät der Feuerwehr. Die Jugendfeuerwehrwarte organisieren Übungen, Ausflüge und das große Zeltlager der Jugendfeuerwehren aus dem Kreis Lippe.
Das Auto hebt sich. Ein Junge hält die Steuerung, über die Druckluft in das Hebekissen geblasen wird. Andere haben Holzklötze und -keile herangeschafft, die nach und nach zur Absicherung unter das Auto geschoben werden. „Nicht so tief die Hand unter das Auto stecken“, warnt ein Aktiver. Trotz aller Vorsicht könnte das Auto abrutschen.
Endlich ist der „Verletzte“ frei. Zwei Jungen schleppen eine Schleifkorbtrage heran. Unterdessen ist ein Feuerwehrbulli angekommen. Er stellt den Rettungsdienst dar. Die Puppe wird auf die Trage gewuchtet und zum Bulli transportiert. Auch die beiden anderen „Verletzten“ sind versorgt.
Während des 24-Stunden-Dienstes sollen die Kinder und Jugendlichen möglichst viele verschiedene Einsätze absolvieren. Die Planung lag für dieses und für ihn das erste Mal in der Hand von Johannes Baerg. Er war selbst viele Jahre in der Jugendfeuerwehr und ist jetzt seit einigen Jahren aktive Kraft in der Einsatzabteilung.
Nach dem Verkehrsunfall gab es Ölspuren zu finden und zu beseitigen, eine Fehlalarmierung durch die Leitstelle zu erkennen, einen Kellerbrand zu löschen, einen Fehlalarm durch einen Heimrauchmelder abzuarbeiten, einen Baum von der Straße zu räumen und morgens um 5.30 Uhr nach ein paar Stunden Schlaf in der Feuerwache einen Containerbrand zu löschen. Nach dem Frühstück sieht Baerg eine Stunde Sport vor. „Da waren die meisten schon ziemlich kaputt“, sagt Baerg. Der aufwändigste Einsatz steht da noch bevor.
Gegen 11 Uhr kommt der Alarm „Unklare Rauchentwicklung an der Hakenheide“. Dort brennt ein Haufen Holz. Diesmal kommen der Einsatzleitwagen und die beiden Löschfahrzeuge gleichzeitig an. An der Hakenheide ist die Wasserversorgung für die Feuerwehr schlecht. Leonie Kluckow lässt von der Krentruper Straße aus eine Schlauchleitung zur Versorgung der Löschfahrzeuge legen. Es geht wesentlich ruhiger zu als beim Verkehrsunfall am Tag zuvor. Manche der jungen Feuerwehrleute scheinen stehend k.o. zu sein.
Kluckow lässt eine sogenannte Riegelstellung aufbauen. Damit werden bei einem Brand benachbarte Gebäude mit Wasser gekühlt, damit sie durch die Wärmestrahlung des eigentlichen Feuers nicht entzündet werden. Es dauert etwas, dann hat der Angriffstrupp das Feuer gelöscht. Kluckow gibt den Befehl zum Zusammenräumen. Der Gerätewagen Logistik wird nachgefordert, um die nassen Schläuche aufzunehmen.
An der Wache machen die Jugendfeuerwehrleute mit Hilfe der Aktiven die Fahrzeuge wieder einsatzfähig. Es geht mühsam und fast mechanisch. Später wird einer von den ganz jungen Jugendfeuerwehrleuten mit müden, aber leuchtenden Augen sagen: „Es hat Spaß gemacht.“ Und dass er sich schon auf den nächsten 24-Stunden-Dienst freut.
Bei Bratwurst und Kartoffelsalat berichten Leonie Kluckow und ihre Gruppenführer. „Beim ersten Einsatz war ich total überfordert“, bekennt die 16-Jährige. Sie ist seit ihrem zehnten Lebensjahr in der Jugendfeuerwehr und das erste Mal Einsatzleiterin. Einsatzbefehle geben, die Gruppen koordinieren, Rückmeldungen an die Leitstelle geben, das sei alles neu gewesen. Dann aber sei es immer besser gegangen.
Ihre Gruppenführer Jan-Philipp Görlich und Leon Genselein nicken. Sie waren zum ersten Mal Gruppenführer und damit für die konkrete Arbeit verantwortlich. Die sei immer besser gegangen. Görlich ist ein halbes Jahr jünger als Kluckow, Genselein ist 14 Jahre alt. Alle drei sind die erfahrensten Jugendfeuerwehrleute. Es habe Spaß gemacht, sagen alle drei, auch wenn ihre Rollen anspruchsvoll waren.
Leonie Kluckow und Jan-Philipp Görlich machen schon bei den jede zweite Woche stattfindenden Dienstabenden der Einsatzabteilung mit. Sie werden im kommenden Jahr ihre Truppmann-Ausbildung beginnen. Mit 18 Jahren werden sie die richtigen Einsätze mitfahren dürfen. Leon Genselein ist 14 Jahre alt. Er wird die Feuerwehr wechseln, weil seine Familie umzieht. „Aber ich bleibe dabei, nur in einer anderen Feuerwehr“, sagt er mit Nachdruck.