Wahrheit oder Lüge
In „Anatomie eines Falls“ ist nichts so, wie es scheint / Leos Kino und der Partnerschaftsverein zeigen den Gerichtsthriller am SONNTAG, 17. November 2024, um 17 Uhr
Das klingt nicht neu: In einem Haus in den französischen Alpen kommt Samuel (Samuel Theis) ums Leben. War es ein Unfall oder hat Ehefrau Sandra (Sandra Hüller) ihn ermordet? Vor Gericht kommt es zu überraschenden Wendungen, Zeugen verwickeln sich in Widersprüche, die Angeklagte scheint undurchschaubar.
Kennen wir. Mögen wir. Klingt nach dem 1950er-Jahre-Kino von Hitchcock oder nach Marlene Dietrich in „Zeugin der Anklage“. Otto Premingers Gerichts-Klassiker „Anatomie eines Mordes“ (1959) wird sogar im Titel zitiert – und doch: in „Anatomie eines Falls“ ist alles ganz anders: raffinierter, zeitgemäßer, aufregender.
In diesem Film geht es um die Frage nach Wahrheit: kann ich ein Ereignis zuverlässig rekonstruieren, obwohl ich gar nicht dabei war? Oder stecken die Berichte und Aussagen voller Beeinflussungen? Sind Bild- und Tonaufnahmen wirklich objektiv? Oder liegt die Wahrheit nur im Auge des Betrachters?
Justine Triet verarbeitet diese erschreckend aktuellen Fragen in ihrem zweieinhalbstündigen Werk in vielen Szenen, die dem Zuschauenden lange in Erinnerung bleiben. Schon in der Eröffnungsszene möchte eine junge Doktorandin mit Sandra über Wahrheit und Fiktion diskutieren. Samuel dreht die Musik aber so laut, dass es dem Betrachter unmöglich ist, den Kern der Konversation zu verstehen. Geht es in dem Gespräch um die Sache oder will Sandra eigentlich flirten? Und durchschaut Samuel das?
Oder: von einem heftigen Streit zwischen Sandra und Samuel existiert eine Tonbandaufnahme, die vor Gericht abgespielt wird. Der Film springt in eine Rückblende und wir atmen auf, nun endlich das vermeintlich Objektive zu sehen. Doch vor dem entscheidenden Teil endet die Rückblende. Wir sind zurück im Gerichtssal und wissen nichts – obwohl wir alles gehört und Vieles gesehen haben. Die Wahrheit bleibt im Dunkeln.
„Anatomie eines Falls“ verbindet klassisches Kino mit hochaktuellen Fragen. Der Film ist ein lautstarker und intensiver Beitrag zur Debatte um Fake News und „alternative Fakten“. Das Werk enttäuscht dabei bewusst Erwartungshaltungen und gerade das macht ihn so sehenswert.
Weil viele Leopoldshöherinnen und Leopoldshöher montags andere Verpflichtungen haben, zeigen wir „Anatomie eines Falls“ ausnahmsweise an einem Sonntag, 17. November 2024 um 17 Uhr. Die Veranstaltung findet in Kooperation mit dem Partnerschaftsverein statt. Karten können unter leos-kino@gmx.de vorbestellt werden. Einlass ist um 16.30 Uhr. Trotz der Überlänge des Films (150 Min.) beträgt der Eintritt wie gewohnt 5 Euro.