
Warum Populisten nie für „das Volk“ sprechen
Debattenbeiträge geben die Meinung des Verfassers wieder.
Von Thomas Dohna
Übermorgen ist der Tag der Kommunalwahl. Mehr als 3.000 Leopoldshöher Wählerinnen und Wähler haben sich schon entschieden. Sie haben ihre Stimme für einen der Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters abgegeben und die für ihren Ratskandidaten.
Ein Wahltag gilt als Fest der Demokratie. An einem solchen Tag bestimmen die Wahlberechtigten, wie ein Gemeinderat und ein Kreistag zusammengesetzt ist und wer Bürgermeister oder Landrat werden soll. Wir – die Bürger und die wahlberechtigten Einwohner – äußern mit der Abgabe unserer Stimmzettel unsere Präferenz für Kandidaten und Parteien.
Wie das so ist in Demokratien, weiß niemand vor der Wahl, wie Gemeinderat und Kreistag zusammengesetzt sind und wer Bürgermeister oder Landrat wird. Bei Letzteren kann es noch zwei Wochen dauern, sollte es zu Stichwahlen kommen.
Es gibt allerdings Parteien und Wählervereinigungen, die meinen schon vor der Wahl zu wissen, was „das Volk“ will. „Das Volk“, auf Latein „Populus“ ist allerdings nicht einmal in Diktaturen ein einheitlich‘ Ding. Irgendwo gibt es auch in Diktaturen eine Opposition, Menschen, die anders denken und wollen, als es die Machthaber wollen. In Russland, Belarus, China und anderen Autokratien und Diktaturen zum Beispiel sitzen sie in Gefängnissen und Lagern.
Die Würde des Menschen ist unantastbar
Deutschland hat die Erfahrungen zweier Diktaturen in sich aufgenommen. Die Wichtigste war die, dass Deutsche im Namen „des Volkes“ anderen Menschen die Würde und dann oft auch das Leben nahmen. Die Mütter und Väter des Grundgesetztes stritten 1948 im Parlamentarischen Rat, ob der erste Artikel des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ überhaupt ins Grundgesetz aufgenommen werden solle. Die Verfolgten des Nazi-Regimes überzeugten schließlich die Mehrheit im Parlamentarischen Rat.
Dieser erste Satz des Grundgesetzes schließt eigentlich schon aus, dass jemand innerhalb der Grenzen Deutschlands für sich beanspruchen kann, für „das Volk“ zu sprechen. Denn wenn jeder Mensch, Männer wie Frauen, Transpersonen wie Homo-, Hetero- oder Asexuelle, KZ-Insassen wie KZ-Kommandanten, Extremisten wie die Opfer von Extremisten eine Würde hat, ist es diesen Menschen – also uns allen – gegenüber würdelos zu behaupten, man spräche für „das Volk“.
Parteien sprechen nur für sich
Parteien, Wählervereinigungen und Kandidaten sprechen erst einmal nur für sich. Sie haben und verfolgen Interessen und Ziele. Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem jüngeren Beschluss genau diese Selbstverständlichkeit festgestellt: Dass Parteien eben das tun, Interessen und Ziele verfolgen und sie auch durchsetzen, sobald sie die Macht dazu haben.
Wenn also eine Partei oder eine Wählervereinigung behauptet, sie allein würde die Interessen „des Volkes“ oder „der Bürger“ vertreten, sagt sie bewusst die Unwahrheit, sie lügt. Denn würde sie die Interessen „des Volkes“ oder „der Bürger“ vertreten, wären damit ja auch die aller anderen politischen Gruppen gemeint.
Feuchter Traum von der Einheitspartei
Eine solche Gruppierung müsste die Ziele und Interessen der Grünen, der SPD, der CDU, der FDP, der Linken, der Rechtsextremisten und anderer vertreten, verteidigen und durchsetzen. Wäre es so, bräuchte es Parteien und Wählervereinigungen nicht. Das aber wäre der feuchte Traum einer jeden Einheitspartei und eines jeden Alleinherrschers.
Auch in Leopoldshöhe gibt es erstmals in einem Kommunalwahlkampf der jüngeren Zeit solche Tendenzen und die Behauptung, man sei allein in der Lage das Ganze zu erkennen und das Richtige im Interesse „des Volkes“ oder „der Bürger“ durchzusetzen. Schaut man allerdings genauer hin, wird schnell klar, dass auch die, die diese Behauptung aufsetzen, nur ihre Partikularinteressen vertreten. Sie unterscheiden sich darin in nichts von den politischen Mitbewerbern.
Niemand hat den Stein der Weisen
Noch nie hat in der Geschichte der Menschheit der eine Herrscher oder die eine politische Gruppierung den Stein des Weisen gefunden, den goldenen Griff getan und alle Probleme für alle und für alle Zeit gelöst. Die, die propagiert haben, das zu können, haben regelmäßig ihre Macht missbraucht.
Dafür muss man nicht auf 1917, das Jahr der Gründung der UdSSR, auf 1933, das Jahr die Machtübergabe an die NSDAP, oder auf den 7. Oktober 1949, den Tag der Gründung der DDR, schauen. Ein Blick in die USA dieser Tage oder in deutsche Kommunen, in denen Populisten Mehrheiten und Ämter besetzen, reicht, um zu sehen, was Populisten anrichten.
Verlieren, ohne Opfer zu sein
Meine Bitte: Sollten Sie Ihre Stimme noch nicht abgegeben haben, prüfen Sie, ob Sie die einer Partei oder Wählervereinigung geben, die vorgibt, die Interessen „der Bürger“ oder „des Volkes“ zu vertreten, oder einer Partei oder Wählervereinigung, die bewiesen hat, dass sie ihre eigenen Interessen zurücknehmen kann, um Kompromisse für tragfähige, pragmatische Entscheidungen zu finden- und vor allen Dingen, ob sie Niederlagen akzeptieren kann, ohne sich als Opfer darzustellen.
Sollten Sie Ihre Stimme schon abgegeben haben, werden Sie nach dem Lesen dieses Textes möglicherweise darüber nachdenken, ob Ihre Wahl die richtige war. Das aber kann man nie wirklich wissen. Eine Wahl ist immer eine Wette auf die Zukunft. Und die ist, wie man weiß, immer unsicher. In fünf Jahren haben Sie die Möglichkeit, sich anders zu entscheiden.