Leos Kino Filmtipp

Leos Kino-Aktiver Ulrich Schumann weist auf gute Filme hin. Foto: Edeltraud Dombert/Montage: Thomas Dohna
Leos Kino-Aktiver Ulrich Schumann weist auf gute Filme hin. Foto: Edeltraud Dombert/Montage: Thomas Dohna

Die Kamera – das unbekannte Wesen

Von Ulrich Schumann

Wie wir uns vor einer Kamera verändern: Die Doku „And The King Said, What A Fantastic Machine ab 22. Februar 2024 im Kino

Der beiden ersten Menschen, die jemals fotografiert wurden, hatten keine Ahnung, dass sie die ersten waren. Wir kennen sie nicht, auch nicht ihre Namen. Wir wissen nur, dass es sich um einen Schuhputzer und seinen Kunden handelt. Beide befanden sich 1838 auf dem Boulevard du Temple in Paris und harrten dort lange genug aus, um zufällig von der Linse von Louis Daguerre fotografiert zu werden, die damals noch rund zehn Minuten Belichtungszeit benötigte. Ob sich die beiden anders verhalten hätten, wenn sie gewusst hätten, dass sie fotografiert werden?

Axel Danielson und Maximilien Van Aertryck erzählen in dem dokumentarischen Essayfilm „And The King Said, What A Fantastic Machine“ die Geschichte der visuellen Medien und deren Wirkung nach, indem sie viele verschiedene Ausschnitte aus Film, Fernsehen und Netz aneinanderreihen. Das Ergebnis ist eine unglaublich mitreißende und emotionale Collage, wie man sie so noch nicht gesehen hat.

Dabei ist doch eigentlich alles ganz einfach: Die Kamera nimmt auf, was vor ihr ist. Sie sorgt für Objektivität und Authentizität. Der Film erzählt, wie die Menschen nach und nach von diesem einfachen Grundsatz abrücken, die Kamera für Propaganda nutzen und gezielt ein bestimmtes Verhalten an den Tag legen, wenn die Kamera läuft. Aufmerksamkeit zählt – egal wie!

Fernsehen, Film, Live-Stream, Fotos, Amateurvideos – visuelle Medien beherrschen heute die Welt. Mit ihrer skurrilen Blütenlese, die mal witzig, mal ironisch, mal schockierend ist, halten uns Danielson und Van Aertryck einen Spiegel vor. Sie kommentieren nur wenig. Das reflektierende Gespräch soll nach dem Film stattfinden.

Drei Jahre lang haben die Arbeiten an dieser atemberaubenden Collage gedauert, erzählt Danielson bei der Norddeutschland-Premiere im November in Lübeck. Das sichtlich beeindruckte Publikum applaudiert lange.

„And The King Said, What A Fantastic Machine” ist eine kraftvolle Aufforderung zum Nachdenken: was macht die Kamera mit uns? Was machen wir vor der Kamera? Der etwas sperrige Titel der Dokumentation geht übrigens auf einen Ausspruch des damaligen dänischen Königs zurück, dem die erste Kamera in Kopenhagen präsentiert wurde. Er hatte offensichtlich die unendlichen Möglichkeiten dieser Erfindung sofort verstanden.

And The King Said, What A Fantastic Machine ist ab dem 22. Februar 2024 in den deutschen Kinos zu sehen. Der ko-produzierende Sender arte zeigt den Film im Winter 2024/2025 in seinem TV-Programm.

Für Einsteiger ist vor allem „Die Reise nach Tokio“ geeignet. Ozus berühmtester Film handelt von einem alten Ehepaar, das quer durch Japan reist, um noch einmal die längst erwachsenen Kinder zu besuchen. Doch niemand hat Zeit für die Alten, sie müssen mal hier, mal da übernachten. Sie scheinen die Kinder zu stören. Das Paar reist schließlich nach Hause, ist aber bemerkenswerterweise nicht enttäuscht, sondern zeigt Verständnis. Doch die Ehefrau wird auf dem Rückweg schwer krank.

„Die Reise nach Tokio“ ist derart universell, zeitlos und beeindruckend, dass dieser Film bei Bestenlisten grundsätzlich unter den ersten hundert ist, in der aktuellesten Liste von „Sight & Sound“ sogar auf Rang 4. Und dann sind da ja noch neun weitere Filme von Yasujiro Ozu zu entdecken. Danke, ARTE!