Wie Gemeinden Gottesdienst feiern
Leopoldshöhe (ted). Gesang einzelner Stimmen dringt durch die offenen Türen hinaus auf den Parkplatz der Mennoniten-Gemeinde an der Lageschen Straße. Wenig später verlassen die letzten Besucher die evangelisch-reformierte Kirche in Bechterdissen. Nebenan, im Gemeindehaus der Mennoniten, ist noch Licht. In der evangelisch-reformierten Kirche Leopoldshöhe am Marktplatz spielt Kantorin Annette Wolf adventliche Musik. Wir haben am Sonntagmorgen eine kleine Rundreise durch einige Leopoldshöher Kirchen gemacht.
Kurz vor 9.30 Uhr füllen sich immer mehr Stellplätze auf dem Parkplatz der Mennoniten an der Lageschen Straße. Ein Einweiser empfängt die Besucher. Er hat nicht viel zu tun. Zu normalen Zeiten wären jetzt schon alle Plätze belegt. Es sind keine normalen Zeiten. Am Eingang der Kirche, die 2004 in den Räumen einer ehemaligen Fensterfabrik entstanden ist, hängen Hinweise. Maske sei zu tragen, Fotos würden gemacht und die Adressen aufgenommen, um mögliche Corona-Infektionswege nachvollziehen zu können. Ein Schild fordert die Besucher auf, sich am Spender für Desinfektionsmittel zu bedienen. Der Empfang durch einen Gemeindehelfer ist freundlich, obwohl der Reporter unangekündigt gekommen ist. Gleich wird ein Ehepaar gebeten, einen Platz am Rand der letzten Bank im Gemeindesaal freizumachen, damit der Reporter dort Platz nehmen kann. Am anderen Ende der gut drei Meter breiten Bank sitzt eine Frau. Die nächste Bank nach vorn steht etwa eineinhalb Meter entfernt. Soviel Beinfreiheit war in einer Kirche noch nie. In der Bank sitzt eine Familie zusammen, in der nächsten ein Ehepaar, dann wieder eine Familie. So geht es weiter. Ehepaare und Familien haben je eine Bank für sich. Alle ohne Ausnahme tragen eine Alltagsmaske.
Ja, bestätigt Gemeindeleiter Markus Thiessen nach dem Gottesdienst, das alles sei so im mit der Leopoldshöher Gemeindeverwaltung abgestimmten Hygienekonzept vorgesehen. Die neuesten Bestimmungen hätten wegen der Kürze der Zeit noch nicht umgesetzt werden können, sagt Thiessen, der mit einer halben Stelle als Verwaltungsangestellter bei der Stadt Bielefeld arbeitet und mit der anderen Hälfte als Gemeindeleiter angestellt ist. Die Bestimmungen seien am Freitagabend bei der Gemeinde eingetroffen. „Ich habe echt geschwitzt“, sagt Thiessen. Knapp 400 Menschen passen unter normalen Bedingungen in den Gemeindesaal, jetzt seien es gut 100 gewesen, schätzt Thiessen. Mit den neuen Bestimmungen würden es wohl knapp 40 sein. Aber das müsse noch berechnet und im Hygienekonzept niedergelegt werden.
Der Gesang hört auf. Thiessen geht ans Predigerpult. Er begrüßt die Gemeinde, bittet um Gebete für die Kranken, die Corona-Infizierten, die in Quarantäne, für die Regierung, dass sie weise Entscheidungen treffen möge. Einzelne Gemeindemitglieder sprechen von ihren Plätzen aus kurze Gebete. Thiessen berichtet aus der Gemeinde, wer krank geworden sei, wer gestorben und wer ein Kind bekommen hat und wieviel Geld beim letzten Gottesdienst zusammengekommen ist. Ein Mann steht auf und bedankt sich mit brechender Stimme bei der Gemeinde für die Gebete für ihn, der gerade an einer schweren Krankheit leide. Der Chor aus vier Sängerinnen und einem Paar im Abstand von etwa zwei Metern zueinander stimmt ein Adventslied an. Am Flügel begleitet eine Frau. Die Sängerinnen und der Sänger singen mit dem, was Fachleute halbe Stimme nennen, recht leise, verstärkt durch Mikrophone.
Prediger wegen Corona ausgefallen
Heinrich Töws tritt ans Pult und predigt. Einige Verse aus dem Brief des Paulus an Titus legt er aus. Es geht um gottgefälliges Leben und um die Chance, bei dem kommenden besonderen Weihnachten sich auf das zu besinnen, was Weihnachten eigentlich bedeutet. Es leuchtet durch, dass auch in dieser Gemeinde gern und viel Materielles geschenkt wird. Später berichtet Thiessen, dass er am Samstag einen Prediger hat finden müssen, weil der vorgesehene Kontakt zu einem Corona-Infizierten gehabt habe.
Thiessen lädt zum Abendmahl. Alle zwei bis drei Monate feiert die Gemeinde Abendmahl. Lange war es angekündigt. Der Gemeindeleiter beschreibt der Gemeinde, wie es abläuft. Jeder hält ein Taschentuch bereit. Darauf legen Diakone ein winzig kleines Stück Weißbrot. Sie tragen Einmalhandschuhe. Später reichen sie auf einem Tablett Wein in etwas mehr als Fingerhut großen Bechern, die sich jeder selbst nehmen und dann in einem Abfallkorb entsorgen muss. Zwischendurch schnarren die elektrischen Kippfenster und öffnen sich.
Eine Gebetsrunde noch, ein Lied des Chores. Dann ist der Gottesdienst zu Ende. In seiner Gemeinde gebe es einen Seniorenkreis, der sich normalerweise einmal im Monat trifft. Der falle seit Monaten aus. „Für viele ist das eine der wenigen sozialen Kontaktmöglichkeiten, die sie noch haben“, sagt Thiessen. Die Freizeiten im Sommer seien ausgefallen. „Das ist schade, das fehlt einem“, sagt er. In der Gemeinde gebe es keine schweren Diskussionen um die Hygiene-Maßnahmen. Man wisse zwar, wie Einzelne dächten, aber die Maßnahmen der Gemeinde stießen auf Zustimmung, „nicht auf große Freude“, sagt Thiessen. Das Gemeindeleben sei schon deutlich eingeschränkt. Am Montag, 14. Dezember 2020, wollen die Mitarbeiter überlegen, wie es weitergeht. Am Mittwoch, 16. Dezember 2020, 19 Uhr, sollen die Ergebnisse den Gemeindegliedern per Audiostream mitgeteilt werden. Die Gemeinde hat Videoübertragungen der Gottesdienste technisch vorbereitet.
Gottesdienste als Videostream
Die gibt es in der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Bechterdissen/Asemissen, parallel zu den Gottesdiensten in der Kirche an der Danziger Straße. Der Gottesdienst ist schon vorbei, als der Reporter ankommt. Kennzeichnungen auf den Bänken zeigen, wo man sitzen darf. Jede zweite Bank bleibt frei. Es herrscht Maskenpflicht. Alle Türen und Fenster stehen zum Lüften auf. Wie es jetzt weitergeht, wissen die Verantwortlichen noch nicht. Das wollen sie ebenfalls am Montag beraten. Ob und wenn ja, wie Weihnachtsgottesdienste gefeiert werden, ob die Christmette wegen der nächtlichen Ausgangssperre stattfindet, ob ein sechs Meter oder ein nur drei Meter hoher Weihnachtsbaum aufgestellt wird, weil man für den kleineren Baum weniger Leute braucht, all das muss geklärt werden. Die Bechterdisser mennonitischen Nachbarn haben das für ihre sonntäglichen Gottesdienste geklärt: Es gibt sie ausschließlich als Videostream, übertragen aus der Kirche am Milser Ring.
In der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde am Marktplatz im Ortsteil Leopoldshöhe brennen Kerzen. Kleine grüne Zettel liegen auf den Bänken. „Dort können Sie sich hinsetzen“, bedeutet eine Helferin dem Reporter. „Da liegt auch ein Zettel, auf dem Sie sich eintragen.“ Später steckt man den Zettel in einen Kasten. So sind die Angaben für andere nicht zu lesen. 30 Plätze stehen zur Verfügung. Immer wieder kommen Menschen, nehmen Platz. Andere verlassen die Kirche. Alle tragen Masken. Für Kinder gibt es eine Malecke. Wer möchte, darf sich eine dünne Kerze nehmen, an der Taufkerze anzünden und in ein Sandbecken stecken. Pfarrerin Kornelia Schauf sitzt in der ersten Bank. Wer möchte, darf sie ansprechen. Im Kirchhof steht Pfarrer Hendrik Meier in der kleinen Verkaufsbude für Adventliches. Die Krippe ist beleuchtet, die Hütte ist besetzt. Menschen tauschen sich maskenbewehrt aus.
Draußen, auf dem Marktplatz, stehen drei ältere Damen dicht zusammen und unterhalten sich, ohne Maske, dafür umso lauter.
Hintergrund der Geschichte
In Leopoldshöhe laufen Gerüchte um, dass insbesondere die freikirchlichen Mennoniten-Gemeinden Hotspots für Corona-Infektionen seien. Das haben wir zum Anlass genommen, uns unangekündigt in einigen Kirchen umzusehen. Aus zeitlichen Gründen nicht besucht haben wir die katholische Kirchengemeinde, die freikirchliche Gemeinde am Schemmelshof in Bexterhagen und die neuapostolische Kirche an der Hauptstraße in Asemissen. Letztere feiert ausschließlich Online-Gottesdienste. In Leopoldshöhe gibt es weder eine Synagoge noch eine Moschee.