Ulrich Wellmann berichtet im Erzählcafé
Leopoldshöhe (ted). Bis vor 25 Jahren war Ulrich Wellmann der Mann im weißen Papier-Schutzanzug. Die bewegen sich in den Fernsehkrimis mehr oder weniger auffällig durch einen Tatort, während die Kommissare über Tathergänge spekulieren. „Alles Quatsch“, meint Wellmann.
Der 85-Jährige war bis zu seiner Pensionierung Polizeibeamter und Spurensicherer bei der Kriminalpolizei Bielefeld. „Seine kriminelle Vergangenheit“ hatte der Organisator des Sozialen Netzwerkes Leopoldshöhe Detlev Gadow das Erzählcafé überschrieben. Dieses Bonmot wies Wellmann mit einem Lächeln und leiser Selbstironie gleich weit von sich. Bis auf ein oder zwei Trunkenheitsfahrten in jungen Jahren und Kohlenklau 1946 nach Ende des zweiten Weltkrieges habe er sich nichts zuschulden kommen lassen.
Er sei einer der weiß gekleideten Herren gewesen, die durch den Tatort irren, meinte Wellmann und stellte gleich mehrere Dinge klar. Staatsanwälte machten anders als in manchen Krimis keine Tatortarbeit. „Das wollen die gar nicht“, meinte er. Vom Bundeskriminalamt (BKA) sei auch niemand an einem Tatort. Das sei eine reine Schreibtischbehörde.
Dann begann Wellmann ganz vorne, in den 1950er Jahren, genauer 1958. Damals sei es ohne einen erlernten Beruf nicht möglich gewesen, sich bei der Polizei zu bewerben. Einerseits wollte man Praktiker haben, andererseits habe die Möglichkeit bestanden, die Prüfungen nicht zu bestehen. Die Durchfaller sollten dann wenigstens in ihrem erlernten Beruf arbeiten können.
Dienst und Volkshochschule
Voraussetzung für die Übernahme in den Polizeidienst nach der Polizeiausbildung sei sie Mittlere Reife gewesen. Die hatte Wellmann nicht. Lehrgänge dafür bot die Volkshochschule an. „Das bedeutete: Dienst bis 17 Uhr und dann in die Volkshochschule“, berichtete Wellmann.
Wellmann bestand die Prüfungen und kam zur Schutzpolizei, „wie alle“. Sechs Jahre habe man dabei sein müssen, bevor man sich zur Kriminalpolizei habe bewerben können. Wellmann wartete die sechs Jahre ab, bewarb sich und wurde genommen. Der Vorteil einer solchen Laufbahngestaltung sei gewesen, dass man jeden gekannt habe.
Ein Traumberuf
Er sei dann in der Kriminaltechnik hängengeblieben. „Mein Traumberuf“, meinte Wellmann, aus mehreren Gründen. Einerseits interessierte ihn die Wissenschaftlichkeit dieser Art von Polizeiarbeit, andererseits habe ihn niemand zwingen können, nach Abschluss der Tatortarbeit und der Auswertung der Spuren weiterermitteln zu müssen. „Der Bericht lag ja vor“, sagte Wellmann.
Versuche habe es dennoch gegeben. In einem Fall habe ein Vorgesetzter versucht, über ein bestimmtes, noch nicht entwickeltes Verfahren, die Ermittlungen voranzutreiben, berichtete Wellmann. Das sei natürlich nicht gegangen.
Gründliches Suchen
Wellmann erinnerte sich an einen Fall, in dem er gegen einen Kollegen ermitteln musste. Ein Kind war vor den Augen der Eltern bei einer Fahrradtour überfahren und tödlich verletzt worden. Ein anderer Kollege hatte ein Fahrzeug entdeckt, das typische Beschädigungen aufwies. Ein Zeuge bestätigte, dass die Beschädigungen einen Tag zuvor noch nicht da gewesen seien. Eine Ecke an einem Scheinwerfer habe allerdings gefehlt. „Wir haben dann die Stelle abgesucht“, sagt Wellmann.
Nun müsse man sich das nicht so vorstellen wie in den Fernsehkrimis, dass da Polizisten nebeneinander hergehen und den Tatort absuchen. „Ich habe eine Hundertschaft bestellt.“ Jeder der Beamten habe einen genau abgesteckten Bereich zugewiesen bekommen und sei bei seiner Suche fotografiert worden. „Dann suchen die gründlich“, sagte Wellmann. Das fehlende Stück Scheinwerfer sei so gefunden worden.
Fasern und DNA
Noch zu Beginn seiner Polizeilaufbahn seien Tatorte in Straßenkleidung untersucht worden. In den 1960er Jahre sei entdeckt worden, dass über Faserspuren Tatbeteiligte gefunden werden können. Ab da trugen die Spurensicherer die weißen Anzüge, um die Tatorte nicht mit eigenen Fasern zu kontaminieren. Später, in den 1980er Jahre sei der DNA-Nachweis eingeführt worden. Jede DNA sei einzigartig, genauso wie Fingerabdrücke. Die halte sich in getrocknetem Blut Jahrzehnte, auch wenn das Kleidungsstück gewaschen worden sei.
So ein Spurensicherungsteam bestehe aus drei Personen: Dem Spurensicherer, den Fotografen und dem, der nach Fingerabdrücken sucht. „Mehr nicht. Alle anderen habe da nichts verloren“, sagte Wellmann. Ein bis maximal zwei Tage habe das Team Zeit, den Tatort zu untersuchen.
Eine Brandserie
Eine Brandserie ist Wellmann besonders im Gedächtnis geblieben. Immer wieder brannten Scheunen und Wirtschaftsgebäude ab, oft in der Nachbarschaft zu anderen Bränden und wenn die Hofeigentümer in Urlaub waren. Meist führten die Kollegen die Ursache auf einen Defekt zurück. Der Weg zur Versicherungssumme war frei. „Manchmal ist es gut in eine Gasstätte zu gehen“, sagte Wellmann. Unerkannt hörte er mit, wie das Verfahren zur Brandstiftung besprochen wurde.
Wellmann experimentierte. Er nahm eine Kerze, wand Stroh um sie und entzündete sie. „Sie brauchen eine gute Kerze mit einem ordentlichen Docht“, riet Wellmann. Die brennt zwei Tage, bis sie das Stroh erreicht. Da ist der Hofeigentümer längst im Urlaub.
Der perfekte Mord
Ein Verteidiger habe das bestreiten wollen und selbst Versuche angestellt, die natürlich gescheitert seien. Da habe er, Wellmann, eine Schale, Stroh und einen Kerzenstumpen ins Gericht mitgenommen und das Ganze angerichtet. „Kaum hatte die Kerze das Stroh erreicht, machte es Wumm!“. Der Richter sei überzeugt gewesen.
Wie denn ein perfekter Mord aussehen müsse, fragte Detlev Gadow. Wellmann gab den Tipp, sich ein nicht registriertes Gewehr zu besorgen, nach München zu fahren, dort einen Wildfremden ohne Hinterlassung von Spuren zu töten, das Gewehr spurlos zu entsorgen und nach Hause zu fahren. „Aber das macht doch keinen Sinn“, meinte ein Besucher. „Eben!“, stellte Wellmann fest. Die meisten Morde seien Beziehungstaten.
Wellmann war der Gründungsvorsitzende des Sozialen Netzwerkes. Die Idee dafür hatte Gadow mitgebracht. „Der ist sehr gut im Delegieren“, meinte Wellmann lachend und er hatte mit dem Eintritt in den Ruhestand eine Aufgabe, die ihn 20 Jahre ausfüllte.