Lippische Feuerwehren üben das Fahren in der Kolonne
Kreis Lippe (ted). Lars Koppmann atmet durch: „Es läuft“, sagt er. Der Brandoberinspektor der Freiwilligen Feuerwehr Leopoldshöhe beobachtet die Ausgabe der Frühstückstüten für die Teilnehmer des sogenannten Mot Marsches der lippischen Feuerwehren. 27 Einsatz-Fahrzeuge, begleitet von Motorradfahrern der Johanniter, sollen durch Ostwestfalen und Niedersachsen fahren, als eine besondere Übung.
Es ist Koppmanns erster motorisierter Marsch, wie die feuerwehrtypische Abkürzung Mot Marsch ausgeschrieben bedeutet. 25 Mal haben die Leopoldshöher Feuerwehrleute Gerd Deppe und Uwe Mäscher die Übung organisiert. Sie sind seit dem Frühjahr 2020 im Feuerwehrruhestand und dennoch auch dieses Mal dabei, „als Fachberater Mot Marsch“, wie Koppmann bei der Übungsbesprechung vor der Abfahrt erläutert, der zusammen mit Oberbrandmeister Christopher Dove und der Unterbrandmeisterin Petra Schubert den Marsch organisiert hat.
Einige Feuerwehrleute sind schon seit etwa 5 Uhr in der Früh aktiv. Anders als in der Vor-Coronazeit sollen die Fahrzeugbesatzungen ihr Frühstück nicht am Buffet, sondern in Tüten angeliefert bekommen. In den Wochen vorher hat Koppmann bei den Feuerwehren, dem Leopoldshöher und dem Oerlinghauser Deutschen Roten Kreuz anfragen lassen, wer mitmachen will und wer wieviel essen und trinken möchte. Die Küchenmannschaft der Leopoldshöher Wehr streicht in der Küche der Mensa des Schulzentrums Brötchen, kocht Eier und bereitet Kaffee zu.
Andreas Hundehege hakt ab. Er gehört zur Besatzung des Leopoldshöher Einsatzleitwagens. Nach und nach treffen die Fahrzeuge der Feuerwehren aus Lage, Bad Salzuflen, Barntrup und Augustdorf auf dem Parkplatz an der Grundschule Nord ein und natürlich die der eigenen Leopoldshöher Wehr. Es kommen auch 18 Fahrerinnen und Fahrer der Motorradstaffel der Johanniter. Jedes Fahrzeug bekommt einen Platz zugewiesen und seine Besatzung den Hinweis, wo das Frühstück abzuholen ist und wo die Fahrerbesprechung stattfindet.
Währenddessen hilft die Besatzung eines anderen Fahrzeugs dem stellvertretenden Leiter der Feuerwehr Leopoldshöhe Detlev Schewe beim Aufbau des Tütenbuffets im Eingangsbereich der Sporthalle der Grundschule. Die von der Küchenmannschaft gefüllten Tüten tragen einen Aufkleber. Darauf steht die Bezeichnung des Fahrzeugs, für das die jeweilige Tüte bestimmt ist. Koppmann beobachtet das. Sieht, wie die Mannschaften ihre Thermoskannen mit frischem Kaffee gefüllt bekommen und ihre Tüten mitnehmen.
Dass Fahrzeuge der Feuerwehren und anderer Hilfsorganisationen in geschlossenen Verbänden fahren müssen, kommt vor allem bei überörtlichen Einsätzen im Katastrophenschutz vor, wie bei der Flutkatastrophe im Rheinland im Sommer dieses Jahres. Der lippische Mot Marsch ist für die meisten Fahrer die einzige Gelegenheit, die Fahrt in der Kolonne zu üben.
Es ist kurz vor 7 Uhr. Lars Koppmann verteilt Briefumschläge an die Fahrer und Gruppenführer der Fahrzeuge. Darin ist der Marschbefehl, den sie im Bedarf der Polizei oder anderen Behörden vorlegen. Ein Fragebogen, eine Karte und eine Liste von mehr oder weniger vage angegebenen Zielen, die angefahren werden sollen. Die Fahrzeugbesatzungen sollen üben, sich in Gegenden zu orientieren, die sie nicht kennen. „Früher“, sagt einer, „bekamen wir Koordinaten und mussten anhand einer normalen Karte herausfinden, wo das sein könnte“. Das wäre heute zu einfach.
Die Motoren brummen. Die ersten Fahrzeuge steuern auf den Schulkreisel zu und biegen in Richtung Herford ab. Jedes hat ein anders Ziel im Kreis Herford. Dort angekommen, sollen sich die Besatzungen einen Plan zurechtlegen, in welcher Reihenfolge sie die übrigen Orte anfahren sollen. „Ihr werdet nicht alle schaffen“, hatte Koppmann noch mit auf den Weg gegeben. Die Mannschaft in einem der Bullis will das nicht so recht glauben.
Die Idee zum lippischen Mot Marsch geht indirekt auf den großen Brand in der Lüneburger Heide Mitte der 1970er Jahre zurück. Damals versuchten die örtlichen Feuerwehren, den Brand aus eigener Kraft zu bekämpfen und scheiterten. Schließlich übernahm der örtliche Bundeswehrkommandeur die Leitung 15.000 Feuerwehrleute und 11.000 Kräfte verschiedener Bundeseinrichtungen kämpften zehn Tage, bis das Feuer gelöscht war. Fünf Feuerwehrleute kamen ums Leben. In der Folge wurden Führungsausbildung, Funkwesen und die Zusammenarbeit unter den Feuerwehren nach dem Vorbild der Bundeswehr neu organisiert, Tanklöschfahrzeuge und Schlauchwagen angeschafft. Die Feuerwehren bekamen Einsatzleitwagen. Fernmeldezüge wurden eingerichtet.
Der Bulli hat Westerenger erreicht. Dreiecke am Giebel eines Kindergartens soll die Mannschaft zählen. Später geht es nach Klosterbauerschaft, Bruchmühlen, Gut Böckel in Rödinghausen, Löhne-Mennighüffen, Hiddenhausen und natürlich zum Feuerwehrmuseum in Kirchlengern-Häver.
Anfang der 1990er übten die lippischen Feuerwehren einen Großbrand in der Senne. Dabei fiel auf, dass die meisten Fahrer sich mit dem Fahren in der Kolonne und im Verband nicht auskannten. Uwe Mäscher und Gerd Deppe bekamen den Auftrag, einen motorisierten Marsch zu organisieren. Sie wählten den 1. November, weil bis dahin der Übungsbetrieb abgeschlossen und der Tag ein Feiertag ist. Fünf Fahrzeuge fuhren in die Senne. Im Jahr darauf stieß Ulrich Domke zum Organisationsteam dazu. Domke war bei den Feldjägern der Bundeswehr. Zu deren Aufgaben gehört es, Fahrten von Verbänden zu organisieren und abzusichern.
Ein letztes Ziel könnte die Mannschaft des Bullis noch schaffen. Am Turm der evangelischen Kirche Löhne-Witte sollen Steine gezählt werden. Drei oder vier Feuerwehrfahrzeuge kommen ihr entgegen. Noch 20 Minuten bleiben. Gegen 11.30 Uhr sollen alle Fahrzeuge auf dem Gelände der Firma Sänger in Löhne eingetroffen sein. Die Bulli-Mannschaft entscheidet sich schweren Herzens auf das möglicherweise noch zu erreichende Ziel zu verzichten. Lars Koppmann hatte Recht, als er meinte, man könne nicht alle Ziele schaffen.
Es sind schon einige Fahrzeuge da. Die Mannschaft des Einsatzleitwagens registriert jedes Fahrzeug, steckt dem Gruppenführer eine blaue Flagge und eine Rolle Klebeband zu. Gerd Deppe wuselt auf dem Parkplatz herum und überprüft, ob jedes Fahrzeug auf seinem angewiesenen Platz seht und die Flagge ordnungsgemäß angebracht ist, denn die hat Bedeutung.
Lars Koppmann ruft zur Fahrerbesprechung. Er liest den Marschbefehl vor und erläutert ihn. Ein geschlossener Verband wird wie ein einzelnes Fahrzeug bewertet. Fährt das erste Auto des Verbandes über eine grüne Ampel, dürfen alle anderen folgen, auch wenn die Ampel auf Rot umspringt. Es gelten Geschwindigkeits- und Abstandsvorgaben, Änderungen werden über Funk mitgeteilt. Das Blaulicht ist anzuschalten. Fremde Fahrzeuge dürfen nicht in einen Verband einfahren. Wie sich später zeigen wird, wissen das nicht alle Autofahrer.
Lars Koppmann gibt den Abfahrtsbefehl. Der Einsatzleitwagen ist das Führungsfahrzeug. Die Motorradradfahrer der Johanniter, ausgerüstet mit Blaulicht, fahren voraus und sperren die Kreuzung. Wie Bienen schwirren sie um den Verband herum. Die Kolonne fährt Richtung Autobahn 30. Den Schluss macht der Rüstwagen der Leopoldshöher Wehr. Dessen Mannschaft steht über Funk in ständigem Kontakt zum ersten Fahrzeug, alle anderen hören mit.
Auf der Auffahrt stehen die Johanniter und bewegen die Autofahrer zum Wechsel auf die linke Spur, damit der Verband ungestört auffahren kann. Ungefährlich sei das nicht, sagt einer der Johanniter später. Man müsse seine Augen immer überall haben. Es könne ja einer dabei sein, der die Anweisungen nicht mitbekommt.
Die Johanniter sind üblicherweise als Stauhelfer im Einsatz. Sie haben eine ehrenamtliche oder hauptberufliche medizinische Ausbildung. Sie können als sogenannte First Responder bei Unfällen oder Notfällen schneller vor Ort sein als ein Notarzt oder Rettungswagen, weil sie nicht auf eine Rettungsgasse warten müssen.
Die Maschinen brummen vorbei. Nach und nach weichen die Verbandsfahrzeuge nach rechts aus, damit die Motorradfahrer schnell nach vorn durchfahren können, auch wenn die linke Spur belegt ist. Im Autobahnkreuz Osnabrück soll der Verband auf die A33 wechseln. Vorher ist noch ein Stopp auf einer Raststätte vorgesehen. Die Anweisungen dafür kommen über Funk, die Johanniter leiten den Verband, für die die Fahrt ebenfalls Teil der Ausbildung ist.
Auf der linken Spur der A33 staut sich der Verkehr. Ein Kleinwagen ist auf Höhe einer Ausfahrt stehen geblieben. Offenbar will der Fahrer den Verband rechts vorbeilassen, um dann abfahren zu können. Ein paar Kilometer weiter quillt plötzlich eine Rauchwolke unter einem Sattelzug hervor. Der hatte eine Notbremsung hinlegen müssen, weil ein vor ihm fahrendes Auto unvorhergesehen bremste. Auch der Fahrer hat wohl eben noch in eine Ausfahrt wechseln wollen, zuvor aber begonnen, den Verband zu überholen. Beim dritten Mal ist es der Fahrer eines ausländischen Klein-Lkw, der die Situation offenbar falsch erfasst. Er überholt einige Verbandsfahrzeuge und fährt dann in eine etwas größere Lücke und bleibt dann im langsamen Tempo kleben. Die Johanniter bremsen den Verkehr auf der linken Spur ab, bedeuten dem Lkw-Fahrer, dass er jetzt auf die linke Spur wechseln könne. Es braucht einige Minuten, bis der Fahrer versteht. Er wechselt nach links und zieht am Verband vorbei. Ähnliche Situationen gibt es immer wieder. Erst überholen Autofahrer den von hinten klar gekennzeichneten Verband und drängen sich dann zwischen die Fahrzeuge, um gerade noch die Ausfahrt zu erreichen.
„Die wechseln einfach zu spät auf die rechte Spur“, sagt einer der Feuerwehrfahrer später. Der Mann ist schon bei der Bundeswehr Lastwagen und Kolonne gefahren. Immer wieder hat er solche Situationen erlebt: „Die Leute wissen es nicht besser.“ Schaue man den Leuten ins Gesicht, sei da nur Ratlosigkeit.
Die Kolonne wechselt auf die A2, von dort auf die B66, fährt über den Ostring und über die Eckendorfer Straße zum Parkplatz an der Grundschule Nord. Der Leiter des Verbandes Lars Koppmann hatte schon angekündigt, dass die Küchenmannschaft ein deftiges Mittagessen vorbereitet hat. Der Appetit treibt die Mannschaften in die Mensa.
Geschlossener Verband
Was ein geschlossener Verband ist, ist in Paragraf 27 der Straßenverkehrsordnung geregelt. Die Fahrzeuge in einem geschlossenen Verband müssen gekennzeichnet sein. In einen geschlossenen Verband darf nicht hinein gefahren werden. Er darf nicht zu lang sein. In der Regel darf die Zahl von 30 Fahrzeugen nicht überschritten werden. Geschlossene Verbände können auch Prozessionen, Marsch- und Wandergruppen, Reitergruppen oder Fahrradfahrende sein, letztere müssen mehr als 15 sein. Alle diese Gruppen müssen gekennzeichnet und als geschlossener Verband erkennbar sein.